Dienstag, 25. Dezember 2007

Die Angst der anderen.

Der Wahre Grund, warum alte Medien und Politik so sehr über das Internet schimpfen. Ein Artikel zum Nachdenken zwischen den Jahren.

Bei den Nachdenkseiten gibt es einen excellenten Artikel über eine Studie zum Zuschauerschwund von den öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten. Dort werden auch die faden Ausreden erwähnt, mit denen sich die Größen von ARD und ZDF ihren Zuschauerschwund schönreden. Fakt ist aber: Der Prozentsatz derjenigen, die ARD und ZDF anschauen ist niedrig wie nie. Interessant ist vor allem die Analyse des Phänomens durch die Programmbetreiber. Worin liegt der Grund für die Zuschauerflucht? Es sei kein Fußball-WM-Jahr gewesen und auch kein Jahr großer politischer Themen.

Abgesehen davon, dass die Fußball-WM sowieso nur alle vier Jahre stattfindet, und die öffentlich-rechtlichen kein Sportsender sind, der seinen Marktanteil über Sportereignisse definieren sollte, bleibt noch die Aussage mit den fehlenden politischen Themen, und die ist schlicht falsch. Große politische Themen und Skandale hätte es zu genüge gegeben, das Jahr 2007 war reich an brisantem Material. Man hätte sich nur damit beschäftigen müssen. Ein verrückt gewordener Innenminister, der jeden Tag eine neue, gegen das Grundgesetz verstoßende Idee hervorgebracht hat, Oppositionelle, die irgendwie einfach weggesperrt werden, Demonstranten, die Polizeiwillkür und Gewalt erleiden mussten, der G8-Gipfel, die moralisch verwerflichen neuen Jobs der alten Politiker oder Skandale, über die LobbyControl und die Nachdenkseiten berichtet haben. In den "alten" Medien las man darüber aber nur wenig. An mangelnden berichtenswerten Ereignissen mangelte es also nicht, daran kann es nicht gelegen haben.

Über all diese Themen wurde man nur dann informiert und sensibilisiert, wenn man sich im Internet informierte. Wer die Glotze anschmiss, der wurde höchstens desinformiert, wer die Zeitung aufschlug nicht besser behandelt. Es ist kein Wunder, dass laut einer Ipsos-Studie 50% der Menschen den TV-Berichten nicht mehr glauben. Es ist wirklich kein Wunder. Und es ist zugleich auch der springende Punkt, wenn man die dauernde Schmähkritik der "alten" Medien gegenüber dem Internet verstehen will.

Das Internet sorgt für besser informierte Menschen, und wenn nicht, dann wenigstens für besser vernetzte Menschen. In Weblogs, SocialNetworks und Foren werden Meinungen und Gruppierungen gebildet, was es den Medien schwerer macht, ihre selektive bis falsche Realitätswahrnehmung an den Kunden zu bringen. Sie verlieren ihre Informationsvormacht, die Politik verliert durch das Internet die Kontrolle über die Menschen. Der Bedeutungsverlust der „alten“ Medien ist demselben Phänomen geschuldet wie der Kontrollverlust der Politik: dem Internet. Der Zuschauerschwund von ARD und ZDF, der Abonnentenverlust der Zeitungen ist der Mitglieder- und Vertrauensschwund der öffentlichen Parteien. Und alle reagieren auf ihren Verlust auf die selbe Weise: mit einem Beissreflex. Die Medien schicken ihre Journalisten vor, um den neuen Gegner "Internet" mal so richtig zu beschimpfen. Internetschmähartikel von ehemals angesehenen Zeitungen waren in diesem Jahr in aller Munde, und auf Seiten der Politik wurden Justizminister und Innenminister an die Front geschickt, um dem Kontrollverlust des Staates auf dem Sektor der Kommunikation entgegenzuwirken. Jeder, der seine Informationen nur von "Qualitätsmedien" und "unabhängigen Rundfunkanstalten" bezog, für jeden dieser Menschen muss nach diesem Jahr klar sein: Das Internet ist ein Tummelplatz von Terroristen, Verbrechern und Taugenichtsen. Wenn die Zeitungen und die Politiker das so sagen, es wird schon stimmen. Ein Dilemma, das vor allem Ältere vom Internet ausschließt. Sie haben schon den Nachteil, dass sie sich mit der Technik zumeist nicht so auskennen wie Jüngere. Dann wird es schwer, die Motivation zu finden, sich mit dem Internet zu beschäftigen, wenn doch Morgens die Zeitung sagt: "Internet, scheisse!", Mittags in den Nachrichten ruft Schäuble: "Internet, Terroristen!" und abends die Fernsehsender berichten: "Internet, alles illegal!". Wenn ich nur diese Informationen hätte, ich würde mich auch nicht mit dem Internet beschäftigen.

Nun hat man schon eine Gruppe vom Internet abgehalten, und muss nur noch dafür sorgen, dass die Gruppe, die das Internet nutzt, besser kontrolliert werden kann. Aus den vorher schon erläuterten Gründen kann sich die Politik der Zustimmung der Nicht-internet-menschen sicher sein. Die Vorratsdatenspeicherung schließt diesen Kreis nur. Jeder regt sich auf, dass keiner der Regierungsparteien sich gegen die Vorratsdatenspeicherung gestellt hat. Warum sollten sie auch, es ist doch ihr Interesse, ihre eigene Kontrolle aufrecht zu erhalten. Und die Oppositionsparteien, die man zur Zeit lobt, sie hätten es nicht anders gemacht, wären sie an der Macht gewesen. Was ist ein System, das sich "demokratisch" nennt, aber totalitär und kontrollwütig agiert, wie soll man es nennen? PR-Demokratisch? Oberflächendemokratie?

Aus Schäubles Initiativen spricht die pure Angst der herrschenden Klasse vor menschlicher Kommunikation und menschlichem Wissen. Angst, nackt und unverdeckt, sie springt einem entgegen, man müsste sich nur informieren, man würde sie als solche erkennen. Geschichtlich betrachtet handelten alle Herrscher, die Angst bekamen in selber Weise: mit Repressalien. Erinnern wir uns an die DDR: als eine Massenflucht der DDR-Bewohner nach Westberlin einsetzte und die DDR-Regierung Angst bekam, dass sie die Kontrolle verlieren könnte, wurde der Antifaschistische Schutzwall* geschaffen. Begründung: Man müsse die DDR-Bürger vor dem Satan Westdeutschland schützen. Die Stasi wurde den Bürgern als Sicherheitsinstitut, das die DDR vor dem großen Feind beschützt, ausgegeben. Man schützte die eigenen Bürger am besten vor dem Feind, indem man ihre Gespräche aufzeichnete und sich aufschrieb, wer wem einen Brief schrieb und wer mit wem verkehrte und wer welche Zeitung liest. Und heute will Schäuble seine Bundesbürger vor den Terroristen schützen, indem er ihre Kommunikation lückenlos überwachen lässt, indem er ihre Emails überwacht und notieren lässt, welche Internetseiten sie anschauen. Ein Schelm, wer böses (oder falsches) dabei denkt, die Gedankengleichheit wird man allerdings nicht bestreiten Können. Schäuble sagt ja, es ist nur zu unserer eigenen Sicherheit. Fazit: der Staat ist ein anderer, die Methoden bleiben die gleichen.

Liest man heute bei Wikipedia, so heißt es über die Stasi (MfS): "Das MfS war vor allem ein Unterdrückungs- und Überwachungsinstrument der SED gegen die Bevölkerung der DDR zur Sicherung ihrer Macht." Nichts anderes ist die Vorratsdatenspeicherung auch: Ein Unterdrückungs- und Überwachungsinstrument der Regierung gegen die Bevölkerung und zur Sicherung der eigenen Macht. War damals der "Westen" der Feind, der als Begründung herhalten musste, ist es nun der "Terrorist". Und so wie der Westen keine Reale Bedrohung für die DDR-Bürger (höchstens für die DDR-Politiker) war, so ist der gemeine Terrorist keine Bedrohung für den deutschen Normalbürger. Kofferbomben, die auf Grund von Konstruktionsfehlern nicht zünden, und dilettantische Säureattentate, die schon im Vorfeld auffliegen sind, jedenfalls in meinen Augen, kein allzu großes Bedrohungspotential. Zumal dies meist keine Terroristen waren, sondern vielleicht Möchtegern-Terroristen, Terror-Trittbrettfahrer oder Terroristen-Imitatoren. Die Bedrohungen liegen woanders

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*= die Mauer.

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Frei Schnauze

"Nach uns die Sintflut ist der Wahlspruch jedes Kapitalisten und jeder Kapitalistennation." - Das Kapital. Band 1. Zweiter Abschnitt, Achtes Kapitel

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