Donnerstag, 22. November 2007

Interview mit Karl-Heinz Brodbeck (FH Würzburg)*

Anlässlich der von Attac ausgerichteten Filmwoche "Globale 07" traf ich Prof. Dr. Karl Heinz Brodbeck. Er ist seit dem WS 92/93 Professor für Volkswirtschaftslehre, Volkswirtschaftspolitik, Betriebsstatistik und Kreativitätstechniken an der Fachhochschule Würzburg-Schweinfurt. Nach seinem Vortrag, der sich an einen Film über die Bahnprivatisierung anschloss, hatte ich Gelegenheit, ihm einige Fragen zu stellen. Wer noch mehr über ihn erfahren will, dem sei das "Presse-Echo" auf seiner privaten Homepage empfholen.

CV: Sehr geehrter Herr Brodbeck, warum sind sie ausgerechnet als Wirtschaftswissenschaftler ein Kapitalismuskritiker?

Karl-Heinz Brodbeck: Weil ich die Wirtschaft ganz gut zu verstehen glaube. Viele Jahre des Studiums der ökonomischen Theorie haben mir gezeigt, dass die Argumente zur Begründung der Funktionsweise von Märkten im wesentlichen auf Fehlurteilen beruhen. Es ist meine hauptsächliche Forschungsarbeit, dass die neoklassische Theorie, so wie wir sie an der Universität lehren falsch ist. Natürlich unterrichte auch ich diese Theorien, ich liefere den Studenten allerdings immer noch einen kleinen Beipackzettel dazu und sage "Gebrauchsanweisung beachten".
Die neoklassische Theorie hat eine Funktion. Sie erfüllt die Funktion, Märkte zu einer Quasinatur zu stilisieren, einer Quasinatur, vor der wir uns verneigen sollen, der wir Gehorsam zeigen sollen. Man spricht ja von der "Herrschaft der Marktgesetze" oder dem "Regiment der Preise". Ich glaube, dass diese ganze Theorie nur zur Legitimation dieser Vorstellung dient.

CV:Ist das neoliberale System zu kurzsichtig? Ist zu viel Augenmerk auf den kurzfristigen Gewinn gelegt, auf Kosten der Nachhaltigkeit, was auf lange Sicht viel höhere Kosten verursacht?

Karl-Heinz Brodbeck:Die Kritik, dass die kapitalistische Entwicklung zu kurzfristig sei, die ist schon relativ früh hervorgebracht worden. Es ist die Idee von Keynes, der gesagt hat, dass sich der kurzfristige Horizont auf die Beschäftigung und das Bruttoinlandsprodukt richten sollten, nicht aber auf die langfristigen Kapitalbewegungen. Mir scheint etwas noch viel wichtiger zu sein. Ich vorhin in meinem kurzen Beitrag auch schon ausführlich gesagt. In all den Lehrbüchern der letzten 20 Jahre steth, "Ziel einer Unternehmung ist, die Gewinnmaximierung", aber das ist inzwischen einfach nicht mehr wahr. Dieser Grundsatz gilt vielleicht noch für ein paar Mittelständler oder Selbständige, aber er gilt nicht mehr für die großen, durch die Kapitalmärkte regierten Gesellschaften. Da steht die Rendite im Vordergrund, und wenn man sich das Ganze anschaut, dann sieht man, dass sich die ganzen Aussagen über die Funktionsfähigkeit des Marktsystems einfach nicht mehr aufrecht erhalten, sobald man eine Renditenmaximierung betreit. Dann kommt nämlich ein ziemliches Chaos dabei raus.

CV:Kommen wir zurück zur Bahn, um die es im Filmbeitrag des heutigen Abens ging. Die Deutsche Bahn ist schon seit Jahren eigentlich nicht profitabel. Warum will man sie dann privatisieren, wo doch an der Börse die Gewinne ausschlaggebend sind für einen langfristigen Erfolg?

Karl-Heinz Brodbeck:Dies ist ein ganz einfacher Trick, es kommt darauf an, wie man das Bahnvermögen aktiviert. Wenn man den Buchwert entsprechend niedrig ansetzt, dann kommt am Schluss doch ein Gewinn für jemanden heraus. Wenn man dann noch die Kosten senkt durch Entlassungen, durch Streckenstillegungen, durch Konzentration auf die Schnäppchen, also auf die Hochgeschwindigkeitsstrecken, dann kann man natürlich schon einen Gewinn herauspressen. Man kann das Projekt schon für einige Anleger attracktiv machen, das ist durchaus möglich und ich will es auch nicht bestreiten. Nur: Die Bevölkerung hat nichts davon.

CV:In England ging die Bahnprivatisierung ja gründlich schief! Sollte das nicht eine Warnung sein?

Karl-Heinz Brodbeck:Diese Frage würde ich an etliche Millionen Bundesbürger weitergeben, die Politiker wählen, die eine Bahnprivatisierung befürworten.

CV:Kann man die Bahnprivatisierung als Diebstahl an den deutschen Bürgern bezeichnen?

Karl-Heinz Brodbeck:Man kann es als Diebstahl an den Steuergeldern derer bezeichnen, die die Bahn mit aufgebaut haben. Sie haben ein moralisches Recht auf die Bahn, besitzen ein moralisches Eigentum, ja dem würde ich zustimmen.

CV:Wie man Sie nach dem Filmvortrag beobachtet hat, wie Sie in diesem leicht abgedunkelten Saal vor der Kinoleinwand standen und mit Freude und Elan ihren Vortrag gehalten haben, konnte man den Eindruck gewinnen, dass Sie richtig Spaß daran hatten; dass dies ihre Art der Revolution ist.

Karl-Heinz Brodbeck:Bestimmt nicht meine persönliche Revolution. Es ist nur so, wenn ich auf das Elend dieser Welt schaue, das die kapitalistische Entwicklung weltweit hervorbringt, übrigens auch in Deutschland, man hat es in dem Film ja gesehen, dann habe ich eine Erregung. Andere haben diese Erregung auch, man nennt es Mitgefühl. Aus diesem Mitgefühl ziehe ich meine Energie etwas dagegen zu tun. Und wenn ich die Leute daran erinnern kann, dass wir eine Demokratisch verfasste gesellschaft sind, dass WIR es sind, die bestimmen, welche Art von Wirtschaft wir zulassen und nicht zulassen, wenn Sie dies Revolution nennen, dann ja.


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*Es handelt sich hierbei um die abgetippte Version der mündlichen Äußerungen von Prof. Dr. Brodbeck, er hat den Text nicht gegengelesen oder autorisiert.

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Frei Schnauze

"Nach uns die Sintflut ist der Wahlspruch jedes Kapitalisten und jeder Kapitalistennation." - Das Kapital. Band 1. Zweiter Abschnitt, Achtes Kapitel

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